Wenn ich an
Weihnachten denke, fällt mir immer eine ganz bestimmte
kleine Katze ein. Zum ersten mal begegnete ich ihr an einem
Herbsttag, als Mrs. Ainsworth mich gebeten hatte, nach einem
ihrer Hunde zu sehen. Überrascht schaute ich mir das kleine
struppige Geschöpf an, das da vor dem Kamin saß.
"Ich wußte gar nicht, daß Sie eine Katze haben", sagte ich.
Mrs. Ainsworth lächelte. "Wir haben auch keine. Das ist
Debbie. Sie ist eine Streunerin. Sie kommt zwei- oder
dreimal in der Woche, und wir geben ihr etwas zu fressen."
"Haben Sie den Eindruck, daß sie bei Ihnen bleiben möchte?"
"Nein." Mrs. Ainsworth schüttelte den Kopf. "Sie ist ein
scheues kleines Ding. Kommt hereingeschlichen, frißt ein
bisschen, und schon ist sie wieder weg. Sie hat etwas
Rührendes, aber sie will offenbar weder mit mir noch mit
irgend jemand sonst etwas zu tun haben."

Ich sah mir die Katze wieder an. "Aber heute will sie nicht
einfach nur gefüttert werden."
"Das stimmt. Es ist komisch, aber ab und zu kommt sie
hereingehuscht und sitzt ein paar Minuten am Kamin. Als ob
sie sich einmal etwas Gutes gönnen möchte."
"Ja, ich verstehe." Es war etwas Außergewöhnliches in
Debbies Haltung. Sie saß kerzengerade auf dem dicken Teppich
vor dem Kamin und machte keine Anstalten, sich
zusammenzurollen oder zu putzen, sondern blickte nur still
vor sich hin. Und irgend etwas an dem staubigen Schwarz
ihres Fells, ihrem halbwilden, mageren Äußeren sagte mir,
daß das hier ein besonderes Ereignis in ihrem Leben war,
eine seltene und wunderbare Sache. Sie genoß voll Wonne eine
Behaglichkeit, von der sie sonst nicht einmal träumen
konnte.
Während ich sie noch beobachtete, drehte sie sich um,
schlich lautlos aus dem Zimmer und war fort. "So ist das
immer mit Debbie", lachte Mrs. Ainsworth. "Sie bleibt nie
länger als zehn Minuten."
Mrs. Ainsworth war eine mollige Frau mit freundlichem
Gesicht, etwas über vierzig und genau so, wie ein Tierarzt
sich seine Kunden wünscht - wohlhabend, großzügig und
Besitzerin von drei verhätschelten Bassets. Der für diese
Rasse typische leidende Gesichtsausdruck brauchte sich nur
ein wenig zu verstärken, und schon geriet Mrs. Ainsworth in
größte Aufregung und eilte ans Telefon.
Meine Besuche bei Mrs. Ainsworth waren deshalb häufig, aber
ohne ernsten Hintergrund, und ich hatte reichlich
Gelegenheit, die Katze zu beobachten, die mich brennend
interessierte. Einmal lagen die drei Bassets malerisch auf
dem Kaminteppich und schnarchten, während Debbie in ihrer
üblichen Haltung mitten unter ihnen saß - aufrecht,
angespannt, den Blick traumverloren auf die glühenden Kohlen
gerichtet.
Diesmal versuchte ich mich mit ihr anzufreunden. Mit
geduldigem Schmeicheln und sanftem Zureden gelang es mir,
mit einem Finger ihren Hals zu streicheln. Sie antwortete
darauf, indem sie sich an meiner Hand rieb, wandte sich aber
gleich danach zum Aufbruch. Sobald sie aus dem Haus war,
schoß sie durch eine Lücke in der Hecke, und das letzte, was
ich sah, war eine kleine schwarze Gestalt, die über das
nasse Feld flitzte.
"Ich möchte nur wissen, wohin sie geht", sagte ich leise vor
mich hin.
Mrs. Ainsworth stand plötzlich neben mir. "Wir sind bis
heute nicht dahintergekommen.
Erst am Weihnachtsmorgen hörte ich wieder von Mrs. Ainsworth.
Sie entschuldigte sich gleich: "Es tut mir so leid, Mr.
Herriot, daß ich Sie ausgerechnet heute belästige." Aber bei
aller Höflichkeit konnte sie die Sorge in ihrer Stimme nicht
verbergen. "Es ist wegen Debbie. Irgend etwas stimmt nicht
mit ihr. Bitte kommen Sie schnell."
Als ich über den Marktplatz fuhr, dachte ich wieder einmal,
daß Darrowby an Weihnachten aussah wie zur Zeit von Charles
Dickens: der menschenleere Platz mit dem hohen Schnee auf
dem Kopfsteinpflaster, der auch von den Traufen längs der
gitterbekrönten Dachkanten herabhing, die bunten Lichter der
Christbäume, die durch die Fenster der dicht
zusammengedrängten Häuser funkelten, freundlich und
einladend vor dem kalten Weiß der dahinterliegenden Hügel.
Mrs. Ainsworths Haus war über und über mit Lametta und
Stechpalme geschmückt; aus der Küche drang ein
verführerischer Duft von Truthahn mit Salbei- und
Zwiebelfüllung. Aber ihre Augen blickten sorgenvoll, als sie
mich durch die Diele führte. Debbie lag regungslos auf der
Seite, und dicht neben ihr, an sie geschmiegt, ein winziges
schwarzes Kätzchen. "Ich habe sie einige Wochen nicht
gesehen", sagte Mrs. Ainsworth. "Dann kam sie vor etwa zwei
Stunden hierher - stolperte irgendwie herein und trug das
Junge im Maul. Sie legte es auf den Teppich, und ich habe
mich zuerst darüber amüsiert. Aber dann sah ich, daß etwas
nicht stimmte."
Ich kniete nieder und fühlte mit der Hand über Debbies Hals
und Rippen. Sie war magerer als je zuvor, ihr Fell war
schmutzig und schlammverkrustet. Als ich ihr Augenlid
herunterzog und die glanzlose weiße Bindehaut sah, wußte ich
Bescheid. Während ich den Unterleib abtastete, schlossen
sich meine Finger um einen harten Knoten tief in den
Eingeweiden.
Ich sagte es Mrs Ainsworth. "Sie liegt im Sterben - im Koma;
sie leidet nicht mehr."
"Oh, das arme Ding!" Sie schluchzte und streichelte immer
wieder den Kopf der Katze, während ihre Tränen auf das
verfilzte Fell tropften. "Was muß sie durchgemacht haben!
Ich hätte mehr für sie tun sollen."
Ein paar Augenblicke schwieg ich, denn ich verstand ihren
Kummer. Dann sagte ich beruhigend: "Niemand hätte mehr tun
können, als Sie getan haben."
"Aber ich hätte sie hier behalten sollen - sie hätte es gut
gehabt. Es muß schrecklich gewesen sein da draußen in der
Kälte, als sie so krank war. Und dann hatte sie auch noch
Junge! Wie viele mögen es wohl gewesen sein?"
Ich zuckte die Achseln. "Das werden wir wohl nie erfahren.
Vielleicht nur dieses eine. Manchmal kommt das vor. Und
ausgerechnet zu Ihnen hat sie es gebracht, überlegen Sie
mal."
"Ja, das schon." Als Mrs. Ainsworth das schmutzige schwarze
Bündel aufhob, öffnete sich das winzige Mäulchen zu einem
tonlosen Miau. "Ist das nicht seltsam? Sie war schon halb
tot und brachte ihr Junges hierher. Und gerade zu
Weihnachten."
Ich beugte mich nieder und legte die Hand auf Debbies Herz.
Es schlug nicht mehr. Ich hüllte den kleinen Körper in ein
Tuch und trug ihn in den Wagen. Als ich zurückkam,
streichelte Mrs. Ainsworth noch immer das Kätzchen, und ihre
Tränen waren versiegt. "Ich hatte noch nie in meinem Leben
eine Katze."
Ich lächelte. "Nun, es sieht ganz so aus, als hätten Sie
jetzt eine."
Das Kätzchen wuchs rasch zu einem schönen Kater heran, dem
sein ungestümes Wesen den Namen Frechdachs einbrachte. Er
war in jeder Hinsicht das Gegenteil seiner scheuen Mutter.
Wie ein König stolzierte er über die prächtigen Teppiche im
Hause Ainsworth.
Bei meinen Besuchen beobachtete ich mit Vergnügen, wie er
sich entwickelte, und ganz besonders gern erinnere ich mich
an das Weihnachtsfest ein Jahr nach seinem Einzug.
Ich war wie üblich unterwegs gewesen - die Tiere haben bis
heute nicht gelernt, Weihnachten als einen Feiertag
anzusehen. Das viele Anstoßen mit gastfreundlichen Bauern
hatte mich in eine rosige Stimmung versetzt, und auf dem
Heimweg hörte ich Mrs. Ainsworth rufen: "Frohe Weihnachten,
Mr. Herriot! Kommen Sie herein, und trinken Sie etwas zum
Aufwärmen!" Das Aufwärmen hatte ich nicht nötig, aber ich
fuhr ohne zu zögern in die Auffahrt. Im Haus war alles froh
und festlich wie ein Jahr zuvor. Und diesmal gab es
keinerlei Grund zu irgendeinem Kummer - Frechdachs war ja
da.
Mrs. Ainsworth lachte. "Wissen Sie, für die Hunde ist er ein
rechter Quälgeist." Für die Bassets war das Auftauchen des
Katers so etwas wie das Eindringen eines Flegels in einen
exklusiven Klub.
"Ich möchte Ihnen etwas zeigen." Mrs. Ainsworth nahm einen
harten Gummiball von einem Schränkchen und ging hinaus.
Frechdachs folgte ihr. Sie warf den Ball über den Rasen, und
der Kater sprang ihm nach; dabei konnte man seine Muskeln
unter dem schwarzglänzenden Fell spielen sehen. Er packte
den Ball mit den Zähnen, trug ihn zu seiner Herrin, ließ ihn
fallen und wartete gespannt. Ich traute meinen Augen nicht.
Eine Katze, die apportierte!
Die Bassets schauten voller Verachtung zu. Nichts hätte sie
jemals dazu bringen können, hinter einem Ball herzujagen.
Mrs. Ainsworth wandte sich zu mir: "Haben Sie so etwas schon
einmal gesehen?"
"Nein", erwiderte ich, "noch nie. Das ist ja wirklich ein
ganz besonderer Kater."
Sie nahm Frechdachs auf, hielt ihn dicht ans Gesicht und
lachte, als er schnurrte und sich verzückt an ihre Wange
schmiegte.
Als ich ihn ansah, ein Bild des Glücks und der
Zufriedenheit, mußte ich an seine Mutter denken. Ging ich zu
weit, wenn ich mir vorstellte, daß diese todkranke Kreatur
mit letzter Kraft ihr Junges zu dem einzigen behaglich
warmen Plätzchen brachte, das sie je kennen gelernt hatte,
in der Hoffnung, daß es ihm dort gut gehen werde?
Vielleicht.
Aber ich war offenbar nicht der einzige, der so dachte. Mrs.
Ainsworth lächelte mir zu. "Debbie würde sich freuen", sagte
sie.
Ich nickte. "Ja, ganz sicher. Es war genau heute vor einem
Jahr, als sie ihn herbrachte, nicht wahr?"
"Ja." Sie drückte Frechdachs an sich. "Das schönste
Weihnachtsgeschenk, das ich je bekommen habe."